Dokumentation
Dokumentation
3. Februar 2004, Neue Zürcher Zeitung
Umkehrung und Projektion
Ausstellung der Binz 39
Nur wer naiv ist, kann das Bild noch beim Bild nehmen, scheinen uns die sieben Stipendiatinnen und Stipendiaten, die zurzeit in der Stiftung Binz 39 arbeiten und nun gemeinsam ausstellen, sagen zu wollen. Bei allen Unterschieden in Herkunft und Haltung verbindet sie im Formalen der selbstverständliche Umgang mit verschiedenen Medien, im Inhaltlichen teilen sie die Skepsis gegenüber der Erscheinungswelt. Sie entlarven ihren trügerischen Schein und reagieren mit Umkehrungen und Projektionen. In ihrer Videoarbeit «Flowers IV» führt Ursula Palla in eine holländische Blumenfärberei. Beim Schütteln der vor Farbe triefenden Sträusse gelangen die bunten Spritzer an die Wand und erzeugen eine eminent malerische Wirkung, gerade so als wäre Jackson Pollock vorübergegangen. Pallas Bildwirklichkeit erfüllt sich aber nicht im Ästhetischen. In eindringlichen Sequenzen macht sie die Künstlichkeit und Manipulation der Schnittblumen immer noch ein Inbegriff für ein Stück Natur - bewusst. Pascal Häusermann stellt ähnliche Reflexionen an am Thema des heutigen Menschenbildes, das vom Schönheitskult diktiert am Ende zu Perversion und Selbstauslöschung führt.
Pascal Lampert malt Ansichten von Stadtperipherien auf Kartonschachteln und stellt die Frage, was geschieht, wenn die Landschaft zur Ware deklariert wird. Das Erhabene einstiger Veduten verkehrt sich in sein Gegenteil. Gerade umgekehrt operiert Jorge Jefferson mit seinen in eine Leuchtschiene gestellten, malerisch bearbeiteten Fotografien. Kleinformatige Aufnahmen aus den Elendsquartieren Kolumbiens - seiner Heimat - werden durch die Eingriffe und die Präsentationsweise zu angenehmen Bildern. Auch Andro Wekua verarbeitet in seinen in Mischtechnik geschaffenen Bildern Erinnerungen aus seiner georgischen Heimat, er fertigt komplexe Geschichtscollagen. Um Verdichtungen eines einzigen Augenblicks hingegen geht es in der behutsamen Arbeit von Loredana Sperini. Den Ausgangspunkt bildet die Aufnahme eines jungen, in sich selbst versunkenen Mädchens. Umgesetzt wird dieser Moment der Entrückung in gestickten Zeichnungen und in Bildern, die aus bunten Perlen gewoben sind. Mit ihrer Feinarbeit propagiert sie, allen Tempodiktaten zum Trotz, das Prinzip der Langsamkeit. Selbst in Giampaolo Russos Landschaftsbildern, die an die malerische Tradition anzuknüpfen scheinen, regen sich Zweifel. Der pastose Farbgrund bringt die Figuren und Gegenstände hervor, manchmal aber tilgt er sie auch einfach.
Angelika Affentranger-Kirchrath